dahlemer
verlagsanstalt

Rainer Stolz / Stephan Gürtler (Hrsg.)
Feuer, bitte!
Berliner Gedichte über die Liebe
herausgegeben von Rainer Stolz und Stephan Gürtler für »Die Freuden des jungen Konverters«



ISBN 978-3-928832-16-8
Paperback, 112 Seiten, € 12,-



Die beiden Herausgeber schufen 6 Rubriken, denen sie die unterschiedlichen Gedichte der 18 Autorinnen und Autoren der Anthologie zuordnen. Diese Gedichte umspannen deutlich den Tenor, der dem Thema Liebe in Berlin - und anderswo heute wohl auch - beigemessen wird. Ein Vorwort und die Bio-bibliografischen Angaben geben den Lesern zusätzliche Hilfe, die Anthologie lustvoll zu durchstreifen.


Gedichte von
Lars-Arvid Brischke
Crauss
Roland Distl
Guido Fassbender
Andrej Glusgold
Stephan Gürtler
Anna Hoffmann
Björn Kuligk
Steffen Popp
Dominique B. Renard
Nikola Richter
Monika Rinck
Tom Schulz
Daniela Seel
Rainer Stolz
Florian Voß
Jan Wagner
Ron Winkler




Man spürt dem Bändchen »Feuer, bitte!« zuallererst zwei Dinge an: dass es Dichterinnen und Dichter versammelt, die allesamt wunderbare Texte schreiben, und dass es an einigen Stellen, zumindest für meinen Geschmack, etwas zu avantgardistisch ist. Dabei kann ich Letzteres gar nicht so genau lokalisieren, höchsten festmachen an einem Autor, dessen Stil mich nicht anspricht, namentlich Lars-Arvid Brischke. Es fällt mir schwer, mich in seine Gedichte einzufühlen, auch wenn er sehr gute Ideen sehr gut umsetzt.
Freilich lässt sich diese Kritik nicht verallgemeinern. Denn Daniela Seel schreibt wohl ebenso in einem Tenor, den man schnell als »Germanisten-Lyrik« abtun könnte, dennoch liebe ich ihre Verse; meine anfängliche Distanz ihnen gegenüber hat sich mittlerweile zu einer definierten Nähe entwickelt, wodurch sie für mich zu etwas Besonderem werden.
Besonders finde ich ebenfalls die Gabe von Nikola Richter, mit einfacher Sprache das Einmalige aus dem Alltag zu extrahieren. Wenn ich eines der Gedichte auswählen müsste, das aus »Feuer, bitte!« für alle Zeit erhalten bleiben sollte, dann würde ich ohne zu überlegen »grundlos« nennen. Als ich diese Zeilen das erste Mal gelesen hatte, und einige weitere Male folgten inzwischen, erinnerte ich mich an die eine Begebenheit im Deutschunterricht auf unserem Gymnasium, die mir, so glaube ich zumindest jetzt, damals einen ersten Sinn fürs Lyrische vermittelte. Unser Lehrer hatte uns dazumal Goethes Prometheus vorgelegt und aus den Versen »Mußt mir meine Erde/ Doch lassen stehn,/ Und meine Hütte,/ Die du nicht gebaut,/ Und meinen Herd,/ Um dessen Glut/ Du mich beneidest« die Wörter »Hütte« und »Herd« gestrichen, um uns raten zu lassen, welche Wörter da wohl fehlten. Keiner der erratenen Begriffe war annähernd so schlicht und beiläufig wie die Auswahl Goethes. Und deswegen hat auch keiner so intensiv nachwirken können. Das hat mir damals gezeigt, dass Lyrik mehr ist, als besonders seltsame Wörter besonders und seltsam zu reihen, sondern die Kunst darin besteht, aus Wörterfolgen Wortfolgen zu machen, das Einzigartige aus dem Gewöhnlichen herauszukitzeln.
Genau daran musste ich wieder denken, als ich »grundlos« las; und ich bewundere Nikola Richter, so ein, für mich zumindest, intensives Gedicht geschrieben zu haben. Ehe ich mich jedoch in kopflosem Preis verliere, sage ich auch freiheraus dazu, dass ich ihre Erwähnung von Til Schweiger in »vertrauensfrage« schlicht als Abturner empfinde, der zumindest mir das Gedicht gänzlich ruiniert hat. Eventuell geht so etwas, wenn man echte Klassiker wie die von Ingmar Bergmann oder vermeintliche Kultfilme wie Pulp Fiction erwähnt, aber bei Til Schweiger hört es in meinen Augen auf. — (übrigens: Auf Seiten der Männer ist Steffen Popp für mich Anwärter auf das Lob, welches ich für Nikola Richter aussprach; schade, dass er nur mit zwei Gedichten vertreten ist.) Ohne das neben mir liegende Buch jetzt in die Hand zu nehmen, fallen mir noch die Gedichte von Roland Distel ein und ich habe das Gefühl, dass sein »ey« aus »alles über das liebesleben der rosinen im weihnachtsstollen« lang nachhallen wird mit den buntesten Ausschmückungen aller Emotionen, die man damit in Verbindung bringen kann. Was für ein Geniestreich!

Sebastian Schmidt von
TEXTBASIS in einer Mail vom 26. Juni 2013


Auszug aus
MÖGEN SIE SLAM? Oder: »BITTE GEBEN SIE DEN ANSPRUCH AN MICH AUF!«
von Uwe Claus

Anders gefragt: Hören Sie lieber Lyrik oder lesen Sie bevorzugt Gedichte selbst? Fast könnte man sagen, dies ist eine Glaubensfrage, zumindest eine des Geschmacks. Ich bekenne, mir liegt es eher, ein Gedicht vor Augen zu haben. Ich möchte die Worte, die Zeilen sehen und meinen eigenen Leserhythmus im Text finden. Das Abenteuer einer Erkundungstour möchte ich nicht missen. Ich will nicht nur dem Fähnchen des Fremdenführers hinterhertrotten, sondern auch vom Weg abkommen und mich irren dürfen. …

Ein zweiter Band mit Gedichten erhebt einen völlig anderen Anspruch: »Feuer, bitte! - Berliner Gedichte über die Liebe« und, soviel sei vorausgeschickt, er wird ihm vollauf gerecht. Hier finde ich das Feuerwerk von Bildern und Geschichten, die mir den Atem nehmen, es zeigt sich die hohe Kunst, neue »Worte« für einen alten Hut zu finden – für die Eigenart der Menschen, sich zu verlieben: »wenn du nicht hier bist / gehen die uhren nach. // … // wenn du nackt bist, heißt das // niemand sollte mehr frieren müssen. // …« (lied – Jan Wagner) oder »… / deine sanften pferdeaugen, die mich rühren, / zwei nasse bassins, aus denen mein blick, / glücklicher schon, zurückgeschwappt« (raumfahrt – Monika Rinck), doch der Moment der Unbeschwertheit, erfahren wir, ist begrenzt …« // der Morgen lag schwer / im Innenhof, verschüttete Milch / auf der Straße, … // meine Sprache, deine Sprache, der Kaffee / in einer Linie aus der stöhnenden Maschine // ich ging zum Briefkasten, trug die Worte / an den Tisch, der Freund, er schrieb / daß er liebt, der Rest war Grammatik // …» (Das Licht auf deinen Brüsten – Björn Kuhligk). Trotzdem bleibt dieser Band ein Hohes Lied auf die Liebe mit ihren unzähligen Facetten, das Lied zwischen Verzauberung und Enttäuschung, zwischen Glück und Schmerz, wo am Anfang schon vom Ende die Rede ist: … // Und darüber die Fledermäuse / verbrennen ihre Flügel am Mond / und stürzen vom Himmel, / rattenwärts // … Mein Schlagschatten wirft sich auf dich. / Wir ficken vorsätzlich. / Wir halten aus wie die Katzen / zwischen stillgelegten Sternen.« (Horoskop – Anna Hoffmann), »… & ziehst die strumpfmaske über / die nur einen mund hat. der schnappt / nach dem gesicht & lutscht / die augäpfel aus ihren höhlen. // am nächsten tag bei der obstfrau verlangst du / frische äpfel & siehst ihre tochter / hinter den jalousien mit verbundenen augen / strumpfhosen stopfen.« (strumpfhosen – Lars-Arvid Brischke). Es gibt kein Tabu. Die pure Lust, so scheint es, führt die Feder. Hier wird das Lebensgefühl einer Generation umrissen, die bei sich selbst angekommen ist. Aber die Authentizität hat ihren Preis. Manchmal bleibt am Ende nur noch Kälte: »in jeder gefrorenen pfütze sahen wir ihn, / den gespiegelten sommer, hand in hand / durch weißgetünchte felder. krähen kratzten // über die verwaschene tafel des himmels, / …« (schnee – Jan Wagner). Mancher wird bemängeln, die Romantik bliebe auf der Strecke. Aber, wo der Blick in den Spiegel noch ein selbstironisches Lächeln zulässt, ist nichts verloren. Das Spiel kann von vorn beginnen, denn »Die aus den U-Bahnschächten ausgespülten / Mädchen, wenden das Blatt des Tags: / …« (Mai – Tom Schulz), »… // Ich verliebe mich regelmäßig / in Feuerlilienblicke und kühle Luftballons, / doch auch in Fliegen, die sich putzen; / sie sehen so klug dabei aus. // …« (Wie gehts? - Stephan Gürtler). Was braucht es mehr? Ich stelle mir vor, ich sitze in einer quietschenden Straßenbahn, rumpele durch die Straßen von Berlin (der mir fremden Stadt) mit diesen Versen von Sehnsucht und Enttäuschung in der Hand und weiß, ich bin angekommen. Plötzlich fühle ich mich zu Hause! Dies ist ein Buch, das über die Liebe in Berlin hinausweist mit der Gewissheit einer letzten Einsicht: »… // Der Anblick von Frauen bestätigt: / Der Körper ist auch nur / ein langer, verschachtelter Satz, / …« (Nach zu viel Lesen … – Andrej Glusgold). In diesem Sinne: Verlieben Sie sich wieder einmal und geben Sie den Anspruch an sich auf, »vollkommen« zu sein.

aus:
SIGNUM, Blätter für Literatur und Kritik, 8. Jg., Heft 2, Sommer 2007, S. 131 ff


Berliner Schnauze mit Gefühl
von Frank Schorneck,
MACONDO, Edition Neun, Bochum 2003

Man mag ja hin und wieder über die Hauptstadtzentriertheit junger deutscher Literatur klagen, doch es besteht kein Zweifel daran, dass sich gerade in Berlin recht gut funktionierende Netzwerke von Autoren gebildet haben, die sich gegenseitig auf Lesungen einladen und offenbar auch gegenseitig inspirieren - ein Blick in die Biographien am Ende dieses Heftes spiegelt durchaus die Lebendigkeit junger Literatur aus Berlin wider (nur Hamburg und Bochum sind ähnlich stark vertreten).

Eines dieser Netzwerke ist ein loser Zusammenschluss unter dem Namen Die Freuden des jungen Konverters. Schon seit fünf Jahren treffen sich diese Lyrikerinnen und Lyriker, um Texte und Projekte zu besprechen. 18 der jungen lyrischen Stimmen sind nun in einer Anthologie versammelt, und das Konzert ist mehr als gelungen. Was sich da auf ca. 100 Seiten versammelt, kann ohne Zögern und Zweifel zur Speerspitze junger deutscher Lyrik gezählt werden. Wie immer ein Hochgenuss sind die Gedichte von Björn Kuhligk - von ihm möchte man am liebsten schon die Gedichttitel in einem Rahmen an die Wand hängen (Paris war noch im Kühlschrank zum Beispiel oder auch Streiche bitte immer sanft über die Augenringe).

Auch andere für MACANDO-Leser »alte Bekannte« oder auch »übliche Verdächtige« sind hier zu finden: Tom Schulz, Jan Wagner, Ron Winkler oder der auch in Berlin aktive Siegener Crauss. Wer sich auf dem Zeitschriftenmarkt ein wenig umtut oder sich uaf den Berliner Lesebühnen herumtreibt, ist sicherlich auch schon auf einige der anderen Namen gestoßen. Bislang völlig unveröffentlicht ist Roland Distl, doch das wird sich sicherlich auch bald ändern. Nur wenige weibliche Stimmen verschaffen sich hier Gehör, dafür aber wie im Fall von Nikola Richter und Monika Rinck umso beindruckender. Auch die Herausgeber weisen in ihrem Vorwort auf den Frauenmangel hin. Sollte es so sein, dass Lyrik in erster Linie zum Balzritual des Männchens gehört und Frauen lieber die Prosa wählen, um etwas zu erzählen?

Wie auch immer, den Herausgebern sei für diese vortreffliche Anthologie ein großes Lob ausgesprochen!


Liebesgrüße aus der Paralleldichterwelt
Eine junge Lyrikgruppe präsentiert ihre erste Anthologie
Der Tagesspiegel, 22.04.2003

Die neuen Elfenbeintürme sind Hinterhauswohnungen und der arme Poet von heute neigt zur Gruppenbildung. So trifft der Kreis »Die Freuden des jungen Konverters«seit fünf Jahren regelmäßig zum Gedankenaustausch zusammen. Ob sich die 18 Damen und Herren dabei so dekorativ in den Raum gießen wie das Paar auf nebenstehendem Foto, wissen nur Eingeweihte. Das Buch aber, von dessen Umschlag dieses Bild stammt, offeriert Resultate für jedermann: »Feuer, bitte!«(dahlemer verlagsanstalt) versammelt »Gedichte über die Liebe«–frisch und lustig, lasziv und lustig, rigoros realistisch und traditionell verträumt. Sieben der jungen Autor(inn)en binden heute daraus einen –nicht ganz stachelfreien –Strauß für die Frühlingsfeelings.


Liebeslyrik
von Andreas Fritsche,
Neues Deutschland, 15. Mai 2003

»Feuer, bitte!« heißt ein gerade in der dahlemer verlagsanstalt erschienenes Buch. Seinen Inhalt verrät es im Untertitel: »Berliner Gedichte über die Liebe.« Die Herausgeber wollten mit dem Untertitel den Verkauf des schmalen Bändchens ankurbeln, ist zu hören. Vielleicht machten sie dabei die Rechnung ohne die Leser. Die fürchten sich womöglich vor Schwulst, Trivialität und Langeweile. Bei »Feuer, bitte!« ist diese Angst aber nicht berechtigt. Die 18 jungen Lyriker - geboren zwischen 1966 und 1978 - bieten durchaus auch Vergnügliches. So heißt es bei Tom Schulz: »Glauben Sie an das lyrische Ich? (Bitte ankreuzen) / a) vollkommen / b) eher ja / c) eher nein / d) überhaupt nicht«. Roland Distl schreibt »alles über das liebesleben der rosinen im weihnachtsstollen«, und Rainer Stolz wünscht sich: »Fassen wir uns zusammen als Gleichung mit zwei Unbekannten.« Einige der jungen Dichter haben in Berliner Literaturkreisen einen gewissen Bekanntheitsgrad. So Gjörn Kuhligk, der bisher ein oder zwei hübsche Gedichte verfasste, aber ungleich mehr veröffentlichte. Im vorliegenden Band findet sich leider nichts Nennenswertes von ihm. Lars-Arvid Brischke, der zuletzt in Zürich und Stuttgart lebte, las in den 90er Jahren bei allerhand Gelegenheiten in Berlin sein nun gedrucktes »Chanson« vor. So weiß das einschlägig interessierte Publikum längst, dass »die herrn mit den vollautomatischen blicken« statt Brillen Quadrate tragen. Der demnächst promovierte Energietechniker Brischke versteht es, sein Publikum zu elektrisieren - andere in dem Buch desgleichen. Ungefähr alle zwei Wochen treffen sich die jungen Lyriker in einer Hinterhauswohnung, und das schon seit fünf Jahren. Die »Freuden des jungen Konverters« nennen sie ihren Kreis, in dem Gedichte vorgelesen und diskutiert werden. Einige Produktionen verdienen es, außerhalb von Hinterhofwohnungen beachtet zu werden. »Feuer, bitte!« macht es möglich. Dafür gebührt ein »Danke!«


Provokation Nr. 38
Schülermagazin für das Erich-Fried-Gymnasium

Der Gedichtband »Feuer, bitte!« verspricht im Gegensatz zu schulischer Lyrik weder perfekte Reime und optimales Versmaß noch hochqualifizierte Interpretationshypothesen, sondern garantiert gelebte Gedichte. Festgehalten sind in diesem Buch verschiedene Texte über die Liebe von achtzehn jungen Berliner Autorinnen und Autoren. Während andere Leute nach dem Sex einschlafen, in der Bahn SMS tippen oder im Waschsalon ihre Socken zählen, erkennen jene Lyriker die Poesie, die in solchen Momenten steckt und bringen sie in ihren Gedichten zu Papier.
Diese Textsammlung bereitet großes Vergnügen und sei jedem empfohlen, für den die Welt mehr als nur ein Arbeitsplatz ist.


Liebeslyrik von heute
Buchpremiere der Anthologie »Feuer, bitte!«
tip 08/2003

Wie klingen Gedichte über die Liebe, wenn Exponenten der jüngeren Berliner Lyrikszene sie verfassen? Einem »eidechsloverman« kann man da folgen und Kaffeemaschinen stöhnen hören. Da wird das lyrische Ich schon mal zur losen Wurst, aber erzählt wird auch »von der schwebenden Liebe zu Seepferdchen«. Nachzulesen in der neu erschienenen Anthologie »Feuer, bitte!« aus der dahlemer verlagsanstalt (www.da-ve.de).


Hinterhaus-Poeten
taz 22. April 2003

Gedichte sind ja irgendwie einerseits überhaupt nicht im Trend (wenn man zu den großen Verlagen rüberlinst) und andererseits doch total (wenn man einen Blick auf die Welle von Poetry-Slams, Lyrik-Anthologien von Klein_Verlagen und diverse Internet-Foren wirft). Das Cover des Buches »Feuer, bitte!« mit Berliner Gedichten über die Liebe, dessen Premiere heute im Podewil gefeiert wird, sieht auf jeden Fall sehr trendig aus: Zwei schöne junge Menschen, die auch noch total stylo angezogen sind, hängen lässig in ihrer (vermutlich) total szenigen Hinterhauswohnung in (vermutlich) Friedrichshain rum. Botschaft: Gedichte sind zwar emotional, aber trotzdem cool, und Leute, die Gedichte schreiben, auch. Nun finden sich ja trotz der sehr zu begrüßenden Maßnahme, junge Dichter zu veröffentlichen, in Anthologien dieser Art des öfteren leider Werke, deren Qualität von ganz annehmbar bis absolut unzumutbar reicht. In »Feuer, bitte!« gibt‘s dagegen auch sehr schöne Gedichte. Die atmosphärisch sind und originell mit Sprache umgehen. »Anzeige« von Andrej Glusgold zum Beispiel. »Das ist meine Ex. Sie ist nicht verrückt, auch wenn / sie manchmal beim reden schläft« usw. Andere sind nicht so schön. Aber Lyrik ist ja auch Geschmackssache. Und inwiefern die zum Teil preisgekrönten Junglyriker trendy sind, kann man dann heute Abend im Podewil sehen.
TIG


Die Liebe gehört zu den ältesten Themen der Poesie. Neue Ansichten über ihre heißen Spuren sind in der Anthologie Feuer bitte! versammelt. 18 junge Autorinnen & Autoren, die das Literaturmagazin Macondo ohne Zögern & Zweifel zur Speerspitze junger deutscher Lyrik zählt, sondieren zwischen Hingabe & Ironie vielzüngig die Spielarten der Liebe. Lesen & lieben! Mit Jan Wagner, Monika Rinck, Björn Kuhligk, Rainer Stolz, Nikola Richter, Tom Schulz, Nikola Richter u.a.
(satt.org/literatur/)


Vom Großartigen und von anderen ärgernissen
von Frank Auffenberg

Ich oder irgendjemand sei der Autorin Pferd, rauche genauso viel wie sie. Wir kennen uns schon länger als den kosmos (was immer das auch heißen soll), und zu allem überfluss wird dann auch noch mein oder irgendjemandes falbenfell gebürstet [und] nachdem der galaxiengraupel über den pulsaren niederging, blieben nur noch […] sanfte pferdeaugen.

Bitte was? Es gehört ein Hinweisschildchen auf Feuer, bitte! Berliner Gedichte über die Liebe: Vom Schmökern vorm tatsächlichen Erwerb dieser Anthologie wird dringend abgeraten! Es bestünde ohne ein solches ansonsten die Gefahr, unversehens über Monika Rincks Gedicht raumfahrt zu stolpern – und zumindest ich für meine Wenigkeit hätte schreiend den ansonsten recht schönen Band von dannen geworfen. Und das wäre wiederum sehr schade gewesen, denn: Neben ein bis zwei durchaus ziemlich gruseligen Beiträgen würde man so wundervolle Texte wie die von Jan Wagner (z.B. lied) oder Crauss« fast zum Weinen schönes Gedicht die beiden türen der welt stehen offen verpasst haben. Glanz und Elend liegen halt nicht nur bei den Kurtisanen nahe beieinander. Angeregt und gespeist von einem Kreis junger Berliner mit dem obskuren Namen »Die Freuden des jungen Konverters« trugen Rainer Stolz und Stephan Gürtler eine anregende bis aufregende Mischung zeitgenössischer Liebeslyrik zusammen und entschuldigen sich bereits im Vorwort für die so rar vertretenen Frauen: Doch repräsentiere das in der Sammlung wiedergegebene Verhältnis dasjenige ihrer Berliner Hinterhaustreffentreffen mit Rotwein, Paprikachips und Gedichtbesprechungen. Schreiben Frauen nicht? Trauen sie sich nicht in subversive lyrische Zirkel oder liegt es gar in der Natur des Mannes, lyrisch fabulierend seinem Balztrieb Ausdruck zu verleihen? Es scheint fast so, zumindest wirken die Arbeiten der bereits erwähnten Monika Rinck nicht gerade souverän und leicht dahingehaucht, sondern hölzern und klischeebeladen. Holprig rattert und plappert es in ihren Texten vor sich hin und scheinbar unerschöpflich ist ihr Vorrat an steifen Spielereien wie:

[…] ich aber bin gekommen mit tuch über dem scheitel
mich macht es so blöd ausschaun, die lanze nicht […]
[die ritter]

Oder:

[…] dein wechselwarmer stolz, reptilienlichtgestalt lucertora
ist unbenommen. wie du hineinbist in den feuerofen,
war gleich das ganze bad gelöscht. es war genau
wie die antiken sagen: aus geht, was du durchschreitest. aus. […]
[eidechs loverman]

Vielleicht entfalten ihre Arbeiten auf offener Bühne eine beim Lesen vorerst nicht ersichtliche Klangqualität, in Gesellschaft von so ausgesprochen starker und souveräner Verknappung, wie sie in den immer bildreichen, doch nie überladenen Arbeiten Jan Wagners zu finden ist, scheinen Rincks Texte leider unangenehm geschwätzig – mitunter fast wie missglückte lyrische Prosa. Im Kontrast zur Fabulierwut Rincks liest sich Wagners botanischer Garten beinahe wie eine Zauberformel für gute Lyrik: dabei, die worte an dich abzuwägen […] erstickt an ihrem eigenen gewicht.

Ebenfalls nicht gerade durch Pointiertheit fällt Nikola Richters dreiseitige vertrauensfrage als unrühmliches Beispiel für nie enden wollendes Satzgeflicke auf. Wo will sie hin, wenn sie munter vor sich hinbrabbelnd Nebensatz an Nebensatz reiht und vermeidlich rythmische Kombinationen vom Schlage: WOW, WOW, WOW.

eine happy hysterie, zurechtflickt? Anbiederndes Zeitgeistgeschreibsel oder gar pfiffige Persiflage zwischengeschlechtlicher Diskussionsstrukturen? Genau weiß man es nicht. Spaß macht es aber auch nicht.

Vielleicht mag der Zeitgeist oder zumindest das Berliner Poetrybühnenpublikum Prosamutanten im Hipsterkostüm, wie sie in vertrauensfrage inflationär aneinandergereiht werden, als innovative Sprachkompositionen schätzen, auf drei Seiten, gelesen, schwarz auf weiß, mit eigenen Augen und blödsinnigen Textumbrüchen, die offensichtlich kunstvoll daherkommen sollen, verliert man ein wenig den Glauben an die Fähigkeiten der Autorin. Den Musen sei Dank, finden sich ein paar ruhigere und weitaus stärkere Texte Richters in dieser Anthologie. In es ist nicht liebe, nein scheint Meeresrauschen nachzuhallen, die Spuren einer Nacht werden greifbar, und mag der Titel auch anderes behaupten, man möchte rufen: »Doch, ist es!«

So auch bei Daniela Seel. Wenn sie in übersichtlichen sieben Zeilen und ohne sich in mäandernden Strömen wunderlichster Wortkaskaden über Zwischenmenschliches herzumachen vom »wir« spricht, scheint sich eine alte Tugend erneut zu bestätigen: In der Kürze liegt noch immer die Würze.

wir blättern einander bilder zu
wir dichten räume, uns darin zu bewohnen
wir werfen unsere schatten ins lot
wir schnüren blicke
wir haben uns einander ähnlich gemacht in einem verschweigen
wir legen einander trocknend wasser über die augen
wir zählen geigen wir sammeln zwischen unseren küssen schrot

Aber was hat das alles mit Berlin zu tun? Nichts, eigentlich und doch wieder sehr viel. Nichts, weil Berlin nicht zum treibenden Motor, zur unabdingbaren Instanz der Texte wird; und doch sehr viel, da natürlich ein großer Teil der Autoren aus hauptstädtischen Gefilden stammt oder zumindest dort beheimatet ist und sich wider alle Erwartungen in der noch jungen, wiedergeborenen Metropole eine Szene entwickelt hat, die so zwar auch in allen anderen nur erdenklichen Regionen der Republik zu finden ist, von einer breiten öffentlichkeit jedoch nur im Kontext Berlin wahrgenommen wird. Die Herausgeber taten gut daran, dem Bild einer avandgardistischen Hauptstadtliteratur eines Cafè Burger nicht hinterherzuhecheln. In vielen Arbeiten kontrastieren Sprache und Struktur erheblich. Fast schon konservativ im Aufbau und dennoch nicht rückwärtsgewandt, auch wenn dies mancher Rezensent behaupten mag, sind viele der hier versammelten Arbeiten einer deutschsprachigen Lyriktradition verpflichtet, ohne die Moderne zu veraten. Wenn Crauss wie in Brief an O. durchweg fünfzeiligen Strophen treu bleibt oder Björn Kuhligks Gedicht Paris war noch im Kühlschrank bereits durch sein symmetrisches Erscheinungsbild jeden Achtklässler aufmerken lässt, baut sich ein interessantes Spannungsfeld zwischen Seh- bzw. Lesegewohnheiten und Sujet bzw. Sprachgebrauch auf.

Man sollte nicht dem Versuch erliegen, in dieser durch freundschaftliche Bande zusammengefügten Autorenschar eine Bewegung zu suchen, und trotzdem: ihre gemeinsamen Wurzeln sind unschwer zu erkennen. Man sollte nicht der Versuchung nachkommen, ihnen jegliche Gemeinsamkeiten abzusprechen, abgesehen von Thema und Herkunft. Und dennoch, nur im Ganzen, mit allen Höhepunkten und Unzulänglichkeiten, mit allen Problemen, die ein derartiges Projekt mit sich bringt, konnte Feuer, bitte! erst zu dem werden, was es endlich geworden ist: ein hervorragender kleiner Band, der oft amüsant, manchmal auch anstrengend einen überblick darüber verschafft, was aus literarischen Hinterhaustreffen in heutiger Zeit entstehen kann. Ja, es gehört ein Hinweisschild auf den Band: Wenn Sie schmökern, so tun sie dies gründlich – es wird sich lohnen!

Kritische Ausgabe 2/2004, Seite 66f