dahlemer
verlagsanstalt

Hans Zengeler
In einer erdfernen Welt
Bericht

ISBN 978-3-928832-54-0
Paperback, 132 Seiten, € 18,-


Anne Kuhlmeyer schrieb über dieses Buch:

Das Schicksal hat Sonderberg, DEN Sonderberg, Schauspieler am Stadttheater und mit 69Jahren in der Blüte seiner Karriere, seiner Sprache beraubt und mittels Halbseitenlähmung an den Rollstuhl geschmiedet. Eben noch im »Nathan« gefeiert, rebelliert er das Schreiben wiedererlernend gegen sein Vergessen, gegen seine Entmündigung durch gnadenlose Institutionen, gegen unendliche Hoffnungslosigkeit, gegen das Verdämmern der Wahrnehmung. Absurdes, wie Herrn Wagenseils Faszination des gelben Flecks, wird zum Symbol für die Reduktion der Menschlichkeit auf der »Demenzstation« eines Altenheims. Doch nicht nur die Alten und Gebrechlichen sind festgezurrt in diesem System, die Pflegenden verwalten mit Resignation, Zynismus und Ignoranz den Mangel an Humanität.

In einer wunderbar genauen Sprache erzählt der Autor die Geschichten von Menschen, die durch Alter und Krankheit von der Gesellschaft abgekoppelt, auf einer Insel der Verzweiflung gestrandet sind. Ihr Aufbegehren versandet ungesehen, ungehört, unwidersprochen im Nichts. Dieser Roman trifft den Leser an einer empfindlichen Furcht, einer, die wir lieber noch ein wenig ausblenden, ein wenig verschieben würden – bis ins Alter vielleicht, denn das kommt ohnehin. Und wenn es uns in eine »erdferne Welt« katapultieren sollte (was wir alle nicht hoffen wollen), dann merken wir es doch sicher nicht mehr. Oder?
Der Roman ist eine dringende Empfehlung an alle, die sich trauen, sich möglichen Realitäten, wie Krankheit, Alter, Tod, zu stellen.



Von der Hoffnung, nur falsch abgegeben worden zu sein.

Rez. von DK

Unvermittelt wird Sonderberg, gestern noch gefeierter Schauspieler, von heut auf morgen ans Ende seines Lebens gestellt. Was sich vor ihm ausbreitet hat wenig von erlösendem Licht und einem gemütlichen Auspendeln im Kreise seiner Lieben. Der Kreis seiner Lieben wird eine Demenzstation und das erlösende Licht hat sich in Form eines gelben Flecks in die Wand gefressen.
Es scheint keinen Ausweg zu geben. Sonderberg hat nur eine Wahl, um sich am Leben zu erhalten. Der Autor lässt ihn ums Überleben schreiben, damit er nicht wahnsinnig wird. So hat sich Scheherazade Nacht für Nacht ins Leben zurück erzählt, so hat sich Stiller im gleichnamigen Roman von Max Frisch ein Leben erschaffen.
Es ist für kaum einen Künstler schmeichelhaft, Vergleiche zu hören wie »erinnert mich an Blabla von demunddem«. Was Hans Zengeler in seinem Roman schafft, ist keine Kopie oder ein Fortsetzen einer Erzähltradition im Memoirenschreiben. Sonderberg hängt zwar genauso am Leben wie Scheherazade, aber es wird von Seite zu Seite immer deutlicher, dass Sonderberg zwar verzweifelt um jeden Tag ringt, eine Genesung aber nicht in Aussicht gestellt wird. Und niemand scheint ihn zu vermissen. Keinen kümmert es. Zengeler schafft es wie kein anderer Erzähler, mir als Leserin deutlich zu machen, wie sein Protagonist mit jedem Wort am Leben hängt und um dieses kämpft, egal wie aussichtslos es scheint. Mit einer minutiösen wie erschlagenden Beobachtungsgabe ausgestattet lässt er den Schrecken für einen im Kopf gesunden Menschen auf einer Demenzstation plastisch werden. Szenen, die anfangs mit Humor angelegt sind, werden ins Groteske weiter geführt. Die Patienten, nun Sonderbergs Familie, werden typisiert und bekommen Spitznamen. Ihre Persönlichkeiten scheinen in der Krankheit noch deutlicher hervor zu treten als bei einem normalen Menschen und genau das steht im starken Kontrast dazu, wie die Patienten vom Pflegepersonal behandelt werden. Sonderbergs Kampf dagegen scheint von Anfang an aussichtslos zu sein. Er schafft es nicht, den Pflegern oder dem Arzt zu vermitteln, dass er am falschen Ende des Lebens gelandet ist, dass für ihn ein anderer Ausgang vorgesehen sein muss, dass er nur lediglich falsch zugestellt wurde.
Mich hat das Hans Zengelers Roman förmlich erschlagen. Sein Erzählen hat mich metaphorisch gesprochen am Ärmel gepackt, in das Heim geschleift, reingeworfen und immer wieder gesagt: »So, schau es dir an! Schau hin! So ist das!« Was eigentlich Fiktion ist, hat mich nachhaltig erschreckt. Zu der Trostlosigkeit in der Geschichte steht die manchmal sehr poetische und bildreiche Sprache im starken Kontrast. Genau das hat mich enorm hingerissen, so dass ich das Buch kaum weglegen konnte. »In einer erdfernen Welt« ist alles andere als leichte Unterhaltungslektüre, kein Buch für Zwischendurch. Es hat mir als noch relativ jungen Menschen den Schrecken, den das Alter haben kann, sehr sehr nahe heran geholt. Ich durfte es mal anfassen. Und das lässt einen nie wieder los. Denn die Vorstellung, plötzlich krank zu werden und sich gleichzeitig dazu noch einer erdrückenden, durch ererbte Verhaltensmuster bedingten Einsamkeit bewusst zu werden, will man sich eigentlich nicht vorstellen.
Ich möchte das Buch jedem Leser dringend ans Herz legen und zwar weniger als warnendes Beispiel, wie es einem ergehen kann, sondern weil es sprachlich und erzählend etwas vermag, was bisher für mich wenigen Autoren gelungen ist. So wie die Eskimos unzählige Wörter für Schnee haben, lässt der Autor seinen Sonderberg ebenso viele für »Verzweiflung« finden. Und schon alleine das muss man gelesen haben.




Leseprobe …